Para-Cycling: Förstemann und Ulbricht im Doppelinterview

Freitag, 27. Januar 2023


Wenn Bahnrad-Ikone Robert Förstemann die­ses Wochenende beim 110. Berliner Sechstagerennen an den Start geht, wird Thomas Ulbricht ihm vor Ort die Daumen drü­cken. Seit 2021 sind bei­de ein Team: als Para-Cycling-Tandem. Förstemann ist der Pilot und Ulbricht als seh­be­hin­der­ter Sportler sein Stroker. Was sie anein­an­der schät­zen, wo es auch mal kracht und auf was sie hof­fen - das erzäh­len bei­de im Doppelinterview.

 

Robert, Thomas, ihr seid seit September 2021 ein Tandem-Team im Para-Cycling. Wie lau­tet euer Resümee?

Robert: Thomas war als Ex-Leichtathlet ja eine Überraschungskiste für mich. (lacht) Ich hat­te ihn ange­ru­fen, nach­dem mein Tandem-Partner Kai Kruse im September 2021 auf­hö­ren woll­te. Thomas hat­te vor­ab schon Interesse geäu­ßert und sich ent­spre­chend vor­be­rei­tet. Wir kann­ten uns längst, auch aus dem Kraftraum im OSP Berlin. Und dann sind wir im November 21 das ers­te Mal zusam­men auf der Bahn gefah­ren. Es war nicht ein­fach für Thomas, aber der Anfang war gemacht. Fünf Wochen spä­ter ging es zu einem inter­na­tio­na­len Wettkampf. Über 1.000 Meter wur­den wir Zweite und die Zeit war gut, wenn auch nicht über­ra­gend. Im Sprint haben wir sogar gewon­nen und sind über 200 Meter fast Rekord gefah­ren! Da war Thomas erst fünf Wochen auf der Bahn. In Paris sind wir dann 2022 bei der Cycling-WM Zweite im Tandemsprint und Dritte über 1.000 Meter Tandem gewor­den. Das war ein super Ergebnis für die elf Monate, die wir gera­de Mal zusam­men gefah­ren sind. Eine Medaille war auch für unse­re wei­te­re Finanzierung wich­tig, die muss­te sein. Ich bin also zufrieden.

Thomas: Für mich war klar, dass ich, wenn ich einen Top-Piloten vor mir habe, auch Top-Zeiten fah­ren will. Ich hat­te immer Bock auf den Sport. Kurz vor der WM hat­te ich dann aller­dings ein extre­mes Formtief und die ers­ten Zweifel. Ich konn­te mich aber wie­der hoch­fah­ren und auch mei­ne Startprobleme wur­den bes­ser. Ich bin alles in allem zufrieden.

Was macht ein gutes Team im Tandem-Sport aus?

Robert: In ers­ter Linie blin­des Vertrauen. Dadurch, dass Thomas nicht viel sieht, braucht er natür­lich abso­lu­tes Vertrauen in mei­ne Fahrkünste vorn als Pilot. Er setzt mei­ne Anweisungen dafür super um. Wenn ich sage, gib Gas, dann macht er das. Ich wür­de sagen, das ist unse­re Stärke, und des­halb sind wir auch 2022 Vizeweltmeister gewor­den im Tandemsprint.

Wo seht ihr wei­te­re Stärken bzw. Schwächen?

Thomas: Roberts Stärken sind sei­ne über­mensch­li­che Power und sein Siegeswille. Meine Stärke ist, dass ich leich­ter bin und mich klein­ma­chen kann hin­ter Robert, wenn es not­wen­dig ist. Außerdem zählt mein Wille, erfolg­reich zu sein als Tandem. Meine Schwäche ist das Anfahren, da muss ich schnel­ler wer­den. Auch nach 40 Sekunden noch Gas geben zu kön­nen wie Robert, viel­leicht 15 Sekunden län­ger – das ist mein Ziel.

Robert: Meine Schwäche ist mei­ne Ungeduld. Ich mag es, wenn sich Entwicklungen schnell abzeich­nen, also schon im Training und nicht erst im Wettkampf. Meine Stärke ist, dass ich damit umge­hen kann, wenn es anders kommt. Ich hal­te mich für men­tal sehr stark.

Thomas: Mich stresst dei­ne Ungeduld aller­dings schon manchmal.

Robert: Leistungssport ist das Härteste, was du je gemacht hast. Das habe ich dir auch gesagt. (lacht)

Welche Ziele ver­folgt ihr bis Paris 2024 und wie moti­viert ihr euch?

Robert: Wir wol­len auf alle Fälle Bestleistungen fah­ren und bei der WM die­ses Jahr in Glasgow eine Medaille sowie die ers­ten Punkte holen für die Qualifikation zu den Paralympics in Paris 2024. Allein die­ses Ziel moti­viert uns jedes Jahr aufs Neue.  Im Bereich Technik wol­len wir uns in der Beschleunigung wei­ter­ent­wi­ckeln, da habe wir noch Luft nach oben.

Thomas: Meine Motivation ist ganz klar, bes­ser zu wer­den in allen Bereichen, ob nun Antritt, Kraft oder Ausdauer. Alles das soll uns wei­ter nach vorn und in der Zeit unter eine Minute bringen.

Habt ihr ein Trainings-Motto?

Robert: „Augen zu und durch“, aber ich glau­be, das passt nicht. (lacht)

Thomas: Vielleicht eher „Mach jetzt mal!“ Das höre ich öfters von dir.

Wird auch mal gestritten? 

Thomas: Ich hat­te sel­ten so viel Krach wie im letz­ten Jahr. (lacht)

Robert: Wir zof­fen uns regel­mä­ßig, das gehört aber dazu und ist wich­tig, da es Entwicklung bedeu­tet. Thomas ist eher ein Harmoniemensch, macht aber mit. Nach der WM war ich ent­spann­ter, weil ich weiß, dass ich mich auf ihn ver­las­sen kann. Er ist ein Sportler durch und durch und küm­mert sich. Das ver­bin­det uns. Wir leben den Sport, das schweißt uns zusam­men und führt uns zum Erfolg. Ja, wir sind eine Einheit, das sieht man auf dem Rad und auch im Training.

Thomas, du arbei­test Teilzeit in der Bundesanstalt für den Digitalfunk. Robert, du bist seit 2022 Vizepräsident des Berliner Radsportverbands. Wie kommt ihr mit der Zweitbelastung klar?

Thomas: Ich habe kei­ne Förderstelle, bin aber zu 50 Prozent frei­ge­stellt. Da mer­ke ich schon, dass alles gut getak­tet wer­den muss. Vormittags haben wir in der Regel unse­re Haupttrainingseinheit, nach­mit­tags Regeneratives und von 15 bis 18 Uhr arbei­te ich, das aber meist im Homeoffice.

Robert: Ich muss ähn­lich wie Thomas viel ein­tak­ten. Aber ich arbei­te nur 5 Wochen im Jahr bei der Polizei, den Rest bin ich für den Leistungssport freigestellt.

Was sind eure sport­li­chen Etappen bis Paris 2024?

Thomas: Vom 3. bis 8. August sind wir bei der WM in Glasgow.

Robert: Es ist eine WM mit Para-Cycling und nor­ma­lem Bahnradsport, also eine tol­le Inklusion von bei­dem. Ich fin­de, dass auch die Paralympischen Spiele mit den Olympischen Spielen zusam­men­ge­legt wer­den soll­ten. Aber gut. Auf dem Weg zur WM wird viel trai­niert und an unse­rer Entwicklung gear­bei­tet. Thomas war lan­ge krank und hat eini­ges auf­zu­ho­len. Unsere Beschleunigungsphase muss auch bes­ser wer­den. Bei der WM wol­len wir unse­re Leistung bestä­ti­gen und unse­re per­sön­li­che Bestzeit ver­bes­sern. Im Para-Cycling gibt es aber nicht so vie­le Wettkämpfe. Durch mei­ne Kontakte aus dem olym­pi­schen Bereich ver­su­che ich, uns bei mehr Wettkämpfen und auch Lehrgängen reinzubekommen.

Was muss für die Olympischen Spiele 2024 noch alles getan werden?

Robert: Vorab: Wir sind durch unse­re Medaillen im Paralympics-Kader, dadurch sind wir aber noch nicht für Olympia gesetzt.

Thomas: Wir müs­sen uns Punkte z.B. bei Weltmeisterschaften erfah­ren, dafür gibt’s dann Slots und die gehen aufs Konto der Deutschen Radsport-Mannschaft.  Dann ent­schei­det der Bundestrainer.

Und wie steht es um eure Konkurrenz?

Robert: Im Moment sind das Großbritannien und Frankreich. Erstere haben sehr gutes Material und sind wirk­lich schnell. Dahingehend müs­sen wir uns auch ent­wi­ckeln – zu bes­se­rem Material. Frankreich holt auf und hat dann 2024 auch noch ein Heimspiel …

Ärgert es euch, dass der Sprint noch kein Bestandteil des para­lym­pi­schen Radsport-Programms ist? 

Robert: Das ist schon scha­de, weil es uns Spaß macht und noch mehr liegt als die 1.000 Meter, aber es ist nun mal so.

Thomas: Genau. Wir sind im Sprint recht stark, vor allem, weil wir aus der Fahrt her­aus den bes­ten Antritt haben. Schön ist, dass wir zumin­dest bei der WM auch die 200 Meter fah­ren und zei­gen kön­nen, wie gut wir sind.

Ihr seid inzwi­schen 36 und 37 Jahre alt. Wie lan­ge gedenkt ihr noch zu fahren? 

Robert: Das sind bru­ta­le Zahlen, aber Claudia Pechstein zieht ja auch noch ihre Kreise. (lacht) Aktuell läuft es. Wir schau­en erst­mal bis Paris und wenn wir da kei­ne Medaille holen, wird’s so oder so schwierig.

Jetzt bist du Ende Januar erst ein­mal beim Berliner Sechstagerennen am Start…

… und freue mich rie­sig dar­auf. Das Event gehört zu Berlin wie die Currywurst. Dass es über drei Tage statt sechs geht, ist für mich gar nicht so schlecht. Ich habe durch mein Praktikum bei der Bundespolizei etwas Zeit ver­lo­ren und gut zu tun, die Kraft vom Tandem für den Sprint wie­der in Schnelligkeit umge­wan­delt zu bekommen.

Interview: Cäcilia Fischer