Neue Studie zu den Corona-Pandemie-Folgen im Kindersport

Dienstag, 04. Juli 2023


Ein Team von Sportwissenschaftlern aus Berlin, Münster, Karlsruhe und Oldenburg hat in einer Studie an ca. 70.000 Kindern der 3. Klassen in Berlin den Einfluss der Corona-Lockdowns auf die motorische Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds untersucht.

Grundlage der Untersuchungen bildete der Deutsche-Motorik Test (DMT), der Messwerte in der körperlichen Ausdauer, der Schnelligkeit, Koordination und der Kraft erfasst. Zur Einschätzung der körperlichen Gesundheit wurde der Body-Maß-Index (BMI) verwendet. Die Beurteilung des sozioökonomischen Hintergrunds der Kinder erfolgte mit dem SEB, einer statistischen Kennzahl, mit der der Berliner Senat die soziostrukturelle Situation der Berliner Schule (schulscharf) ermittelt. Die Daten stammen aus dem vom Berliner Senat und dem Berliner Landessportbund geförderten Programm BERLIN HAT TALENT.

In der Studie wurde nachgewiesen, dass die motorische Gesamtleistung der Berliner Kinder nach der Pandemie unter Ausschluss des säkularen Trends insgesamt um 4% verschlechtert war – das entspricht einem Verlust in der motorischen Entwicklung von ca. einem Jahr! In den Kraftfähigkeiten waren das sogar 16%, in den Schnelligkeitseigenschaften 11%. Da bekanntermaßen ein geringeres Maß an körperlicher Fitness und Aktivität in der Kindheit zu einer geringeren Motivation für die körperliche Aktivität im späteren Erwachsenenalter führt, kann sich das negativ auf die körperliche, kognitive und psychosoziale Gesundheit auswirken.

Belegt wird auch, dass es bereits vor der Pandemie sozioökonomische Un-gleichheiten zwischen Kindern mit niedrigem SEB (hohes Risiko für Übergewicht) und hohem SEB (geringeres Risiko für Übergewicht) gab. Die Lockdowns haben zusätzlich bei den Berliner Drittklässlern insgesamt zu einem erheblichen Anstieg des BMI geführt. Dieser Anstieg war desto steiler, je niedriger der SEB der Kinder war und je länger der Lockdown gedauert hat. Damit haben die Corona-Lockdowns in Berlin die bestehenden sozialen Unterschiede in Bezug auf den Gewichtsstatus signifikant verstärkt und damit die Risiken für eine gute kindliche Entwicklung erhöht.

Die deutliche Gewichtszunahme in den Corona-Jahren war gleichzeitig mit einer Verschlechterung in der motorischen Leistungsfähigkeit gekoppelt. Waren im Jahr vor Corona noch fast 20% der Kinder motorisch fit, so stürzte dieser Anteil während der Pandemie auf einen Tiefstwert von 12% ab, gleichzeitig stieg dagegen der Anteil der übergewichtigen Kinder von 19,5% auf einen besorgniserregenden Höchstwert von 21,2%. Parallel dazu ist die Zugehörigkeit zu Sportvereinen auf einen absoluten Tiefstand eingebrochen: Von durchschnittlich ca. 42% in den Vorjahren auf 36,3% nach der Pandemie.

Zu den in der Studie empfohlen Maßnahmen gehören der Entwurf von individuell zugeschnittenen Bewegungsprogrammen, die die körperliche Aktivität und motorische Leistungsfähigkeit fördern und die Leistungsverluste in den am stärksten beeinträchtigten motorischen Komponenten abbauen – insbesondere in den Stadtteilen mit niedrigem SEB! Notwendig sind maßgeschneiderte Aufklärung zu körperlicher Gesundheit und Ernährung sowie praktisch verwertbare Kenntnisse z. B. auch zu „klassischen Heim- und Freizeitübungen“ für eine gelingende Fitnessverbesserung. Hingewiesen wird auf eine verstärkte Einbeziehung der Eltern, weil nicht nur die (fehlende) Bewegung der Kinder in der Schule oder im Sportverein, sondern das gesamte „Sozialleben“ und damit auch das Wissen und Handeln der Eltern für die Zukunft maßgeblich sein werden.

Die Ergebnisse sind Teil des PESCov-Projektes („Physical Education, Sport and Corona-Virus Pandemic: Understanding folgens of COVID-19 pandemic lockdowns on children’s and Youth Physical Literacy“), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde.

Projektteam: Prof. Dr. Till Utesch (WWU Münster), Prof. Dr. Jochen Zinner (DHGS Berlin), Dr. Claudia Niessner (KIT Karlsruhe) & Prof. Dr. Dirk Büsch (CvO)

Originalliteratur: Zinner, J., Büsch, D. & Utesch, T. (2023) Corona, soziales Umfeld, Übergewicht und Sport – Ausgewählte Ergebnisse und Empfehlungen aus dem DFG-Forschungsprojekt PESCov für Berlin. Forschungsbericht. DHGS Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport Berlin

Text: Prof. Dr. Jochen Zinner (DHGS Berlin)

(jochen.zinner@dhgs-hochschule.de)