Im Interview vor der IDM Para-Schwimmen: Elena Semechin

Dienstag, 09. Mai 2023


Sie gewann Gold bei den Paralympics 2021, kurz darauf wurde bei ihr ein bösartiger Hirntumor festgestellt. Einen Tag vor der notwendigen Operation heiratete Para-Schwimmerin Elena Krawzow ihren Partner und Trainer Phillip Semechin und stellte sich tapfer den gesundheitlichen Herausforderungen. Ihr Kampf gegen den Krebs wurde auch sportlich belohnt: Im Juni 2022 gewann sie bei der Para-Schwimm-WM auf Madeira Silber, inmitten einer Chemotherapie. Im Februar diesen Jahres konnte die 29-Jährige nun ihre hoffentlich letzte Behandlung beenden – und bereitete sich im Höhentrainingslager in der spanischen Sierra Nevada auf die Internationale Deutsche Meisterschaft (IDM) im Paraschwimmen vom 11. bis 14. Mai in Berlin vor. Wir sprachen vorab mit der sehbehinderten Leistungssportlerin vom Berliner Schwimmteam/PSC Berlin.

Elena, wie geht es Dir aktuell?
Eigentlich ganz gut. Ich bin gerade im Höhentrainingslager in der Sierra Nevada in Spanien. Ich war schon über zehn Mal hier oben, immer so für vier Wochen. Normalerweise bekomme ich die Höhe gut hin, nach der Chemotherapie mit den aktuellen Blutwerten war und ist das aber sehr schwer für mich. Die erste Woche war ein Horror, da ging es mir sehr schlecht. Jetzt in der dritten Woche geht es mir besser, aber ich merke natürlich, wie mein Körper zu kämpfen hat. Ich bin immer platt und schaffe auch nicht alles, was die anderen schaffen.

Wann hast Du Deine Chemotherapie beendet?
Die letzte war Anfang Februar. Insgesamt waren es 12 schmerzhafte Zyklen innerhalb eines Jahres. Die Ärzte hatten keine Ahnung, wie das danach wird, weil es keine vergleichbaren Fälle gibt. Für mich persönlich ist das Training aber sehr vorteilhaft, auch wenn es extrem hart ist. Mein Steckenpferd war ja immer Grundlagen-Ausdauer, also die zweite Bahn auf den 100 Metern Brust, das konnte ich immer sehr gut und vielleicht auch besser als meine Gegner. Durch die Chemo fiel das weg, daran will und muss ich also arbeiten.

Wieviel Prozent Deiner normalen Trainingsleistungen schaffst Du im Moment?
80 Prozent. Zum Ende eines Chemotherapie-Zyklus waren es 30.

Ist der Krebs nun ganz oder nur zum Teil besiegt?
Ich habe zwar die Behandlung nach der OP abgeschlossen, es ist aber eine unheilbare Krankheit. Das heißt, durch die Therapie wurde der Krebs gedämmt, aber er kommt zu 100 Prozent zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit. Ich werde mein Leben lang engmaschig untersucht, habe einmal im Quartal ein Kontroll-MRT. Die Ärzte geben mir zehn bis 15 Jahre, bis sich der Krebs wieder irgendwo im Kopf zeigt.

Wie gehst Du mental mit diesem Wissen und dieser Belastung um?
Während der Chemo habe ich nicht wirklich daran gedacht, aber danach hatte ich ein mentales Tief, da die Kontrolle wegfiel. Es war eine große Unsicherheit und Unruhe in mir. Zum Glück hat mich das Training und Kaputtsein danach wieder abgelenkt. Letzteres habe ich richtig genossen. Davor war ich kaputt von der Chemo, jetzt war und bin ich kaputt vom Training – ein schönes und erfüllendes Gefühl. Ich dachte, jetzt kann ich wieder leben. Danach wurde der Gedanke an eine Wiederkehr des Krebses immer weniger, und jetzt im Training fällt mir das Ablenken auch wieder leicht. Ich habe keine Symptome, ich habe keine Therapie mehr. Klar, wenn ich MRT habe, bin ich auch angestrengt, aber sonst will ich einfach nur mein Leben genießen.

Was hilft Dir dabei, körperlich und mental stabil zu bleiben?
Die Diagnose und die Therapie waren ein heftiger Einschnitt in meinem Leben, aber sie haben mir sehr viel für die Zeit danach mitgegeben. Ich war davor schon ein sehr glücklicher und dankbarer Mensch, aber jetzt schätze ich mein Leben noch mehr als vorher. Das gibt mir Energie und ich bin froh, dass ich noch hier sein darf auf der Erde. Dass ich mit meinem Mann Phillip das Leben genießen kann und viel mehr wahrnehme.

Ihr seid seit über einem Jahr verheiratet. Wie fühlt sich das an?
Toll! Wir haben im November 2021 geheiratet, einen Tag vor meiner Operation, bei der mir der Tumor aus dem Kopf entfernt wurde. Das mag egoistisch klingen, weil ich meine Verwandtschaft nicht mehr einladen konnte, aber ich wusste ja nicht, ob und in welchem Zustand ich nach der OP aufwache. Ich habe selbst erst am Morgen unserer standesamtlichen Hochzeit erfahren, dass nachmittags ein Termin frei ist. Phillip sollte auch alle Vollmachten erhalten, denn ich habe niemanden in Deutschland, der das hätte übernehmen können. Meine Familie lebt in Kasachstan.

Seid ihr inzwischen in den Flitterwochen gewesen?
Noch nicht. Wir wollen dieses Jahr im August erst mal die große Feier mit der Familie und Freunden nachholen.

Du hast sportlich schon sehr viel erreicht, zuletzt Silber bei der WM 2022 und Gold bei den Paralympics 2021. Willst Du bei der Para-WM im August in Manchester wieder auf dem Siegertreppchen stehen?
Ja, damit plane ich eigentlich immer, sonst würde ich nicht zum Training gehen. Ich bin manchmal etwas größenwahnsinnig und reiße mir dafür den Arsch auf. Das war schon immer so. Aber wenn ich mich zum Training aufraffe und quäle, dann möchte ich auch gewinnen.

Was sind Deine nächsten sportlichen Ziele?
Erst einmal die Internationale Deutsche Meisterschaft (IDM) vom 11. bis 14. Mai in Berlin, mein erster Wettkampf der Saison. Da werde ich sehen, wo ich gerade stehe. Danach die WM und dann natürlich Paris 2024, wo ich versuchen werde, meinen Titel zu verteidigen. Gewonnen habe ich schon alle Titel und muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich möchte jetzt einfach nur genießen und schauen, was ich aus mir herausholen kann. Solange ich noch konkurrenzfähig bin, werde ich an den Start gehen.

Du hast in einem Interview gesagt, nach Paris könntest Du Dir eine Babypause vorstellen. Dein Karriereende wäre das dann aber nicht, oder?
Nein, das noch nicht. Mir gefällt der Sport und auch die Zusammenarbeit mit meinem Mann zu sehr. Ich wüsste gar nicht, was ich machen soll, wenn das mal wegfällt. (lacht) Was ich mir vorstellen kann ist aber, Mutter zu werden. Ich möchte noch jemanden hier lassen auf dieser Welt, bevor ich sie verlasse. Es ist mir einfach wichtig, dass da noch jemand ist. Die Babypause wäre auch eine Pause vom Sport und nach den Anstrengungen der letzten Jahre vielleicht ganz gut.

Du kannst Dir ein Leben ohne den Sport noch nicht vorstellen. Wo siehst Du Dich denn in zehn bis 20 Jahren?
Als Trainerin auf gar keinen Fall, dafür bin ich viel zu ungeduldig und wäre sicher auch zu streng. Ich würde von den Sportler*innen dasselbe verlangen, das ich von mir verlange, und wer mich kennt, weiß: Ich bin sehr streng zu mir. Sie würden mich, glaube ich, alle hassen. (lacht) Was ich mir vorstellen kann und nebenbei auch schon angehe, ist die Arbeit als Motivationstrainerin. Oder ich schreibe ein Buch über mein spannendes Leben. Vielleicht gründe ich irgendwann auch eine Stiftung zum Thema Krebs und Sport. Auf alle Fälle möchte ich Menschen unterstützen, die Hilfe benötigen, zum Beispiel als Botschafterin.

Privat machst Du jetzt schon sehr viel: Du hast den Tauchschein gemacht, warst auf einem Rammstein-Konzert und bist Fallschirm gesprungen. Was steht noch auf Deiner To-Do-Liste?
Nach der Krebs-Diagnose wurde mir bewusst, dass mein Leben schnell vorbei sein kann. Deshalb habe ich mir vorgenommen, alles zu machen, was ich schon immer wollte, Fallschirmspringen zum Beispiel. Das eine Jahr war mit all dem sehr intensiv, hat mir aber extrem viel Kraft für die Therapie gegeben. Und jetzt hat sich gefestigt, dass ich Dinge plane und auch umsetze. Nach der IDM möchte ich nach Rom fliegen und nach der Hochzeitsfeier nach Kuba. Das sind feste Ziele, nicht nur Träume. Wenn man morgen im Hospiz liegt, wäre es zu spät. Also lebe jetzt und lass die Arbeit und die Sorgen nicht über dein Leben bestimmen. Du bestimmst es!

Was bedeuten Dir der Sport und die Gemeinschaft, auch jetzt nach abgeschlossener Therapie?
Sport gibt bei so vielen Krankheiten Kraft und Routine. Auch wenn ich kaum trainieren konnte, weil ich so kraftlos war, bin ich in die Halle gefahren, um eine Routine zu haben. Das hat mich oben gehalten. Die Kollegen zu sehen war auch schön und aufbauend. Ich wollte nicht nur Krebspatientin sein, sondern auch Kameradin. Aber am Wichtigsten war es, die Routine beizubehalten. Das lenkt ab. Durch den Sport habe ich sicher auch die Chemotherapie besser und mit positiveren Ergebnissen durchgehalten. Eben weil ich mich nicht hab hängen- und gehenlassen. Das Team hat seinen Teil dazu beigetragen und natürlich mein Mann. Er war immer für mich da und hat mir die nötige Kraft gegeben, mit zum Sport kommen zu können, auch wenn ich mich nicht danach fühlte. Auch deshalb freue ich mich auf unsere nachgeholte Hochzeitsfeier und alles, was noch kommt.

Interview: Cäcilia Fischer

Infos zur IDM: https://www.idm-schwimmen.de/de/home.html