Hagen Stamm – Mister Wasserball im Interview

Freitag, 31. Juli 2020


Nicht nur für die Medien ist Hagen Stamm Mister Wasserball in Deutschland. Als Spieler gewann er Olympia-Bronze 1984, die EM-Titel 1981 und 1989, mit den Wasserfreunden Spandau 04 wurde er 14 mal Deutscher Meister und vier mal Europapokalsieger. Heute ist der Unternehmer dort Vereinspräsident und auch Bundestrainer der deutschen Wasserball-Männer. Gern würde er nach drei Teilnahmen als Spieler in Tokio 2021 auch als Coach zum dritten Mal Olympia erleben.

Im Sport gab es die Olympia-Verschiebung, auch geschäftlich sind das gerade sicher schwierige Zeiten, oder?
Hagen Stamm:
Die Lage für den Unternehmer Stamm hat sich mittlerweile erheblich entspannt, nach den Corona-Lockerungen gibt es einen schönen Nachfrageboom nach Fahrrädern, der die Wunden heilt. Da haben wir Glück gegenüber anderen Branchen und sehen schon den Silberstreif am Horizont. Im Wasserball können und müssen wir uns erst einmal mit der Zeitverzögerung arrangieren und die Jungs motivieren, das Ganze ein Jahr später noch mal anzugehen.

Der Weltverband FINA hat das Olympia-Qualifikationsturnier in Rotterdam für 14. – 21. Februar 2021 gerade neu angesetzt. Pusht das aktuell die Motivation?
Hagen Stamm:
Das ist richtig. Wir hoffen zudem, dass die Bundesligasaison zu Ende gespielt werden kann, die Vereine tagen dazu per Videokonferenz jeweils in den nächsten zwei Wochen. Die Topteams Hannover und Spandau sind dafür und als Bundestrainer wünsche ich mir das auch, weil die Nationalspieler so wieder Motivation bekommen und auch kurzfristiger wieder ein Ziel vor Augen sehen. Dann könnten wir wahrscheinlich im Oktober auch mit der neuen Bundesligasaison 20/21 beginnen, die Champions League soll dann ja ab November wieder losgehen. Mit diesen drei Zielen würden wir uns dem übergeordneten Ziel Olympia-Qualifikation wieder gut annähern und könnten uns dann ab Ende Dezember darauf konzentrieren, uns auf Rotterdam vorzubereiten.

Bleiben nach der Olympia-Verschiebung eigentlich alle Spieler weiter an Bord?
Hagen Stamm:
Es war sicher nicht leicht für einen Spieler, der sich nach diesem Sommer nach Olympia auf Familie, Ausbildung oder Beruf konzentrieren wollte. Diese Wege sind ja dann meist langfristig eingeschlagen und zugesagt worden und lassen sich nicht immer einfach so umleiten. Daher habe ich schon Sorge, bis das alles wieder so richtig losgeht. Natürlich habe ich mit allen Spielern telefoniert und alle haben erst einmal gesagt, sie bleiben dabei und packen es an. Aber in der Zwischenzeit kann eben viel passieren und deswegen ist es wichtig, dass sie zwischendurch auch Motivationsschübe kriegen, ein Re-Start der Bundesliga könnte so ein Schub sein.

Für Sie selbst geht es um die dritte Olympiateilnahme als Trainer, nachdem Sie es schon als Spieler dreimal dabei waren. Wie wichtig ist Ihnen das persönlich?
Hagen Stamm:
Das ist vor allem wichtig für die Jungs und den deutschen Wasserball, bei dem Aufwand, den sie und auch unser Verband insbesondere in den vergangenen beiden Jahren betrieben haben. Ich sehe mich selber da eher hintenan, ich habe schon so viel Glück gehabt in meiner sportlichen Laufbahn, dass ich es für wichtiger erachte, dass die Arbeit der anderen Beteiligten belohnt wird.

Gibt es eigentlich für Sie so etwas wie das Spiel Ihres Lebens?
Hagen Stamm:
Das war wohl das Finale bei der EM 1989 in Bonn. Noch heute läuft mir ein Schauer über den Rücken und ich kriege Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie die 3.000 Zuschauer da „Hagen, Hagen“ skandierten. Ich war seit dem zweiten Viertel raus gewesen und musste an der Lippe genäht werden. Mein Mannschaftsarzt, ehemaliger Mitspieler und bis heute guter Freund Roland Freund hatte gesagt, ich weiß nicht mehr, wo der Faden halten könnte, dein Gesicht sieht aus wie Gulasch. Wie in Trance bin ich zur Verlängerung dann aber trotzdem wieder ins Wasser gesprungen. Und wenn das am Ende mit dem Titelgewinn gekrönt wird, ist das sicher die eindrucksvollste Erinnerung. Natürlich waren die Europapokalsiege in Berlin oder der EM-Sieg 1981 und die Olympische Bronzemedaille 1984 auch sehr schön, aber der Sieg im Sudden Death in Bonn hatte einfach eine besondere Dramatik. Die Jugos trafen kurz vor Ende die Latte, ehe Rainer Osselmann unser Siegtor schoss. Während ich die Jungs dann feiern hörte, lag ich selber schon wieder unter der Nadel. Aber diese Explosion der Emotionen vergesse ich vermutlich nie.

Und die schönsten Momente als Trainer?
Hagen Stamm:
Da gibt es viele schöne Momente. Die schönsten sind der Gewinn der Bronze-Medaille beim Weltliga-Finale 2006 in Belgrad, wo wir vor 5.000 Zuschauern Kroatien bezwingen konnten. Bei Olympia 2004 haben wir die favorisierten Griechen zu Beginn vor einer Riesenkulisse 7:6 bezwungen und haben am Ende die Fachwelt mit Rang fünf überrascht. In der Qualifikation damals in Rio hatten wir die Russen im Halbfinale knapp besiegt und uns damit vorzeitig qualifiziert, das war mit dem anschließenden Karneval in Rio auch ein Wahnsinnserlebnis.

Und wer hatte Sie eigentlich am meisten geprägt im Wasserball?
Hagen Stamm:
Da muss ich drei Namen nennen. Alfred Balen hat mich als kleinen Jungen, als 15-Jährigen in die Bundesliga geholt. Das ist heute fast nicht mehr denkbar. Er hat damit dafür gesorgt, dass ich nicht mit anderen Schulkameraden an der Parkbank rumhänge, sondern im Chlorwasser lande. Als er viel zu früh verstarb, übernahm Uwe Gassmann, der nicht nur Trainer, sondern ein sehr guter Freund der Familie wurde. Wir sind sogar zusammen in den Urlaub gefahren. Leider ist er mit 37 auch viel zu früh verstorben. Und dazu kommt der damalige Bundestrainer Nicolai Firoiu, der mir schon sehr früh sehr viel Vertrauen mitgegeben hat, zum Beispiel beim EM-Sieg 1981.

Von Alfred Balen stammt der Leitspruch, dass eine Mannschaft für den Erfolg zu einer Familie werden muss.
Hagen Stamm:
Das ist auch mir bis heute wichtig und deshalb lebe ich das so auch vor. Ich habe daher nicht nur meinen leiblichen Sohn Marko im Team, ich habe hier viele Söhne. Ich bin sicher in vielen Bereichen ein harter Hund, aber ich versuche auch, mit den Jungs immer familiär und nett umzugehen. Wir sind in Spandau früher sogar oft zusammen in den Urlaub gefahren, haben auch im Alltag viel private Zeit miteinander verbracht. Das gehörte auch mit zum Erfolgsgeheimnis. Wir versuchen in Berlin bis heute, unseren Verein so zu führen, dass er eine Familie ist. Auch ausländische Spieler entwickeln so eine besondere Bindung. Gerade erst erhielt ich eine Einladung zur Hochzeit eines immer noch aktiven Spielers aus Belgrad, als „Vertreter der Spandau-Familie“ stand da wörtlich drauf.

Was planen Sie eigentlich für die Zeit nach Olympia in Tokio?
Hagen Stamm:
Ich bin sehr gern noch mal zurückgekehrt, um den deutschen Wasserball aus dem Dornröschenschlaf zu holen, aber nach Tokio sollte dann ein anderer ran. Diese 60 auf dem Kerbholz sind vielleicht ein Zeichen, um langsam auch noch andere schöne Aufgaben zu übernehmen. Meine über 200 Mitarbeiter erwarten mich dann wieder öfter im Büro. Außerdem bin ich ja ein ausgeprägter Familienmensch mit schon drei tollen Enkelkindern.

Quelle: DSV (Deutscher Schwimmverband e.V.)