Eisschnelllauf: Michelle Uhrig im Interview

Dienstag, 28. Februar 2023


Mit der Weltmeisterschaft im hol­län­di­schen Heerenveen wird Michelle Uhrig Anfang März ihre aktu­el­le erfolg­rei­che Saison been­den: Die Eisschnellläuferin von den Eisbären Juniors Berlin wur­de im Januar Deutsche Meisterin 2023 im Massenstart sowie über 3.000 Meter und ist unter den Top 10 im Gesamt-Weltcup-Ranking. Wir spra­chen vor­ab mit der 27-Jährigen über ihre Ziele und Wünsche.

Michelle, wie geht es Dir zum Ende der Saison hin?

Man merkt schon, dass sie sich dem Ende nähert und wie es an den letz­ten Kräften zehrt. Alles ist sehr anstren­gend, auch weil es mehr Massenstartrennen gab als letz­tes Jahr. 2022 waren es sie­ben, vor Olympia drei und jetzt waren es zwölf. Das ist schon krass, ich freu mich aber, dass ich jedes Rennen mit­ge­macht habe. Ich habe mich ja auch jedes Mal für das Finale qua­li­fi­ziert, dar­auf bin ich stolz. Und freue mich nun auf das nächs­te und letz­te Highlight der Saison, die WM vom 2. bis 5. März im nie­der­län­di­schen Heerenveen.

Was hast Du aus den ver­gan­ge­nen Wettkämpfen mit­neh­men können?

Es waren die­se Saison sechs Weltcups, davon zwei Weltcups und die EM in die­sem Jahr. Ich bin zufrie­den und freue mich, dass ich die Top 10 im Gesamt-Weltcup-Ranking erreicht habe. Die zehnt­schnells­te Frau der Welt zu sein, ist schon ein coo­les Gefühl, das einen bestä­tigt. Fakt ist aber: Eine pos­tolym­pi­sche Saison ist etwas ande­res, man ist erschöpf­ter. Meine Knie haben mir erfreu­li­cher­wei­se kei­ne Probleme gemacht. Kleine, mus­ku­lä­re Verletzungen an den Beinen sind da eher ein Resultat der erhöh­ten Kraftanstrengungen.

Bei der Deutschen Meisterschaft in Erfurt wur­dest Du im Januar im Massenstart vor Eisschnelllauf-Ikone Claudia Pechstein Erste. Was war das für ein Gefühl?

Ich habe mich über den Sieg gefreut wie über jeden ande­ren Sieg auch. Dass Claudia schon so lan­ge dabei ist, ist natür­lich etwas Besonders und ich habe volls­ten Respekt. Am Ende zählt aber nur die Zeit und sonst nichts.

Du stehst inzwi­schen auch schon 14 Jahre auf den Kufen und hat­test Dir als Ziel gesetzt, Dich in der Weltspitze zu eta­blie­ren. Ziel erreicht?

Wenn man zu den zehn schnells­ten Frauen der Welt gehört, ist man sicher auf einem guten Weg dahin.

Nebenbei stu­dierst Du seit 2019 Psychologie in Berlin. Bringt Dir das Studium auch im Sport etwas?

Ich den­ke schon, weil ich da ein paar Techniken her­aus­neh­men kann. Ich weiß zum Beispiel, dass ich ein sehr visu­el­ler Typ bin und dass es gut ist, wenn ich mei­ne Ziele vor Augen sehe. Ich schrei­be sie auf oder plat­zie­re sie in Sichtweite. Direkt unter mei­nem Fernseher hängt zum Beispiel der Schriftzug „Road to Milano“. Außerdem erin­nert mich mein Tattoo täg­lich an mei­ne Ziele. Am Fußgelenk habe ich die Jahreszahlen mei­ner Olympischen Spiele mit den Ringen und der Fackel ste­hen. Und da ist auch noch Platz für wei­te­re Zahlen. (lacht) Leider muss man beim Massenstart Knöchelschutz tra­gen und da sieht man die Ringe nicht.

Hilft Dir vor Wettkämpfen ein beson­de­res Ritual?

Ich schnür mir vor einem Start immer drei­mal die Schuhe.

Welche Ziele ver­folgst Du bis zu den Olympischen Spielen?

Ziel ist es, in der A-Gruppe sicher zu lau­fen, was nicht so ein­fach ist. Aktuell bin ich in der B-Gruppe, aus der man schwe­rer wie­der raus­kommt. Man muss die Top 16 zwei­mal oder die Top 8 ein­mal schaf­fen, um die Olympia-Qualifikation zu bekom­men, das ist in der A-Gruppe ein­fa­cher. Dieses Jahr habe ich es lei­der nicht geschafft. Es war auch nicht opti­mal, habe ein paar Fehler im Training gemacht.

Welche denn?

Ich soll­te mich auf die 1.500 Meter kon­zen­trie­ren und habe dem­entspre­chend trai­niert, wir haben dann aber fest­ge­stellt, dass ich eher der Langstrecken- als der Mittelstreckentyp bin. Ich weiß jetzt, dass ich eher über die Ausdauer als über die Kraft lau­fe. Das Gute ist, dass wir bis Olympia noch zwei Saison-Einheiten haben, um das zu ändern. Krank war ich auch und konn­te nicht trai­nie­ren. Für uns Eisschnellläufer ist ja schon ein Schnupfen pro­ble­ma­tisch, da wir dann nicht rich­tig atmen kön­nen. Zum Glück bin ich men­tal recht stark und kann damit gut umge­hen. Das hat man auch letz­tes Jahr gese­hen, als ich es trotz Verletzung zu Olympia geschafft habe.

Warum hat man erst so spät gemerkt, wel­che Distanz Dir liegt?

Vielleicht weil ich aus den ver­schie­dens­ten Gründen alle  zwei Jahre einen neu­en Trainer habe. Das ist scha­de und nicht ide­al, ließ sich aber bis­her nicht ändern. Aktuell wer­de ich von Alexis Contin trai­niert und bin auch zufrieden.

Auf was bist Du beson­ders stolz?

Ich bin im Januar Deutsche Meisterin im Massenstart und über 3.000 Meter gewor­den. Gerade letz­te­res freut mich beson­ders, da Claudia das immer vor mir geschafft hat­te und ich „nur“ über 1.500 Meter und 1.000 Meter vor­ne lag.

Wie schätzt Du die deut­sche Eisschnelllauf-Elite im inter­na­tio­na­len Vergleich ein?

Ich den­ke, wir sind lei­der noch nicht ganz in der Weltspitze ange­kom­men wie frü­her mal, wenn wir aber wei­ter­hin so fokus­siert trai­nie­ren, wie wir es möch­ten, dann soll­te es wie­der funk­tio­nie­ren. Das Wichtigste ist in mei­nen Augen Kontinuität, also dass wir die­sel­ben Trainer haben, dass wir Trainingslager haben und dass das zumin­dest bis Olympia so anhält. Zwei Jahre vor den letz­ten Olympischen Spielen wur­de alles umge­schmis­sen und das war sicher nicht von Vorteil.

Letzte Frage: Hast Du ein Lebensmotto, das Dir auch im Sport weiterhilft?

Ja, und das habe ich auch schon recht lan­ge. Du hast drei Optionen im Leben: Du kannst auf­ge­ben, nach­ge­ben oder alles geben. Ich möch­te alles geben.

Interview: Cäcilia Fischer

Foto: pri­vat